Vor 50 Jahren war Kürnach, nordöstlich von Würzburg gelegen, noch ein kleiner Ort. Während die Weinorte entlang des Mains wie Eibelstadt, Randersacker, Dettelbach oder Volkach im Barock bereits eine Blütezeit erlebten, gab es in Kürnach kaum Bauten von historischer Bedeutung. Zwei barocke Gebäude, Mitte des 18. Jahrhunderts am Fuß des Kirchbergs errichtet, erinnern bis heute an die Baugeschichte des ehemals landwirtschaftlich geprägten Dorfes. Das eine diente einst als Rathaus, das andere – das Gasthaus Stern – als so genannte Schenkstatt, die die Gemeinde gegen ein Pachtgeld an Wirte vermietete.
Bis in die 1970er-Jahre war der „Stern“ ein beliebter Treffpunkt, auch für die Jugend im Dorf. Hier saß man beim Bier zusammen und besprach die Ereignisse des Tages. Auch von wilden Feiern wird berichtet. Ein paar Jahre später konnte man dann nur noch vereinzelt ein paar Gäste beobachten, die in den „Fremdenzimmern“– wie man Gästezimmer damals nannte – übernachteten. Am Ende aber stand der ehemalige Gasthof Stern leer.
Heute wird Kürnach, das aufgrund seiner Nähe zu Würzburg und seiner günstigen Anbindung an die Autobahn stark gewachsen ist, hauptsächlich von seinen Neubaugebieten, einer guten Infrastruktur und dem vielfältigen Angebot der Vereine geprägt. Deswegen war es der Kommune wichtig, die wenige historische Bausubstanz zu erhalten und die Ortsmitte aufzuwerten. Um die Jahrtausendwende gelang es der Gemeinde zuerst, das „Alte Rathaus“ zu erwerben und zu sanieren. Etwas später konnte sie dann auch den historischen Gasthof Stern kaufen und das Ensemble am Fuße des Kirchbergs wieder vervollständigen.
Das mehrfach umgebaute und überformte Gasthaus wies aber nur noch wenig historische Bausubstanz auf und die war in keinem guten baulichen Zustand. Gemeinsam mit Jäcklein Architekten entschied sich die Gemeinde trotzdem gegen den Abriss und für eine detailgetreue Wiederherstellung der barocken Bauform. Mit Hilfe von Geldern aus der Städtebauförderung konnte dies auch umgesetzt werden. Schlanke Gauben und Biberschwanzeindeckung für das Dach, geteilte Sprossenfenster, geohrte Sandsteingewände und Gurtgesimse zieren nun das Gebäude und erinnern an die barocke Historie.
Reinhold Jäcklein: „Vermutlich haben wir die Fassade in einer Wertigkeit hergestellt, die die ‚alte Schenkstatt‘ nie hatte. Dennoch eignet sich die Rekonstruktion dazu, einen Identifikationspunkt für Kürnach zu schaffen.
Dabei spielt die Unschärfe der Erinnerung eine wichtige Rolle, sodass die Menschen das Gebäude als Teil der Ortsgeschichte annehmen.“ Das Sanierungskonzept sah außerdem vor, den Altbau um einen Neubau zu ergänzen, der aus mehreren Gebäudeteilen besteht. Die Herausforderung lag vor allem in der Beschaffenheit des Grundstücks, das von Nordosten in Richtung Südwesten stark abfällt. Mit dem Neubau, der diesen rückwärtigen Teil des Grundstückes umfasst, wird der Hang abgefangen. Zum Tal ist das Gebäude viergeschossig, zum Hang zweigeschossig. Vor Baubeginn musste der Hang zunächst aufwendig mit einer Betonbohrpfahlwand gesichert werden. Eine Treppe zwischen den beiden barocken Gebäuden – die sogenannten Schenkstiege – verbindet den unteren Platz vor dem Gasthaus mit dem Kirchberg oben. Der alte Dachstuhl des „Stern“ wurde erhalten und mit einem neuen gedämmten Dachstuhl überbaut.
Auch die Außenwände wurden gedämmt. Damit sind die Anforderungen der Energieeinsparverordnung erfüllt. Eine Wärmepumpe mit Gasbetrieb sorgt für ein effizientes Wärmemanagement im Neu- und im Altbau. Eine Heiz- und Kühldecke, die ähnlich einer Fußbodenheizung funktioniert, passt das Raumklima den Jahreszeiten an. Ein Dielenboden, Türen und Einbauten aus Eiche sowie Bodenbeläge aus heimischem Muschelkalk sorgen für ein regionales modernes Ambiente. Im Erdgeschoss konnte ein neuer Pächter das traditionsreiche Gasthaus Stern wiederbeleben.
Für Jäcklein Architekten stand mit der Revitalisierung des Gasthofes und seines Umfeldes eine Harmonisierung und Beruhigung des Ortsbildes im Vordergrund. Die neuen Bauten „umschließen“ den Stern und fassen drei öffentlich zugängliche Plätze ein, die die Raumkanten der historischen Bebauung wiederherstellen: ein Platz entstand vor dem Gasthaus, ein zweiter auf halbem Weg der Schenkstiege, ein dritter zwischen dem Neubau des „Sterns“ und dem Rathaus.
Die neuen Bauten mussten sich den vorhandenen Strukturen anpassen. Die Folge: viele krumme Winkel und schräg verlaufende Wandflächen, die die Planer bei der Aufteilung der Innenräume durchaus herausforderten. Auch das Dach erhielt deswegen eine ungewöhnliche und komplexe Form: ein gefaltetes Satteldach mit Biberschwanzdeckung, das die Merkmale der historischen Bebauung aufnimmt.
Die Neubauten sind verputzt. Seitlich an den Fenstern sind Lüftungselemente mit einer ornamentalen Lochstruktur. Einerseits Anleihe an historische Fensterläden, sorgen sie auch für Sonnenschutz im Inneren und dienen als Einbruchschutz, was das Lüften über Nacht ermöglicht. Im Erdgeschoss befinden sich die Nebenräume des Gasthauses. In den Obergeschossen sind Büros, eine Arztpraxis, eine Künstlerwerkstatt und eine Galerie untergebracht.
Die Neubauten mildern die Wirkung der sehr hohen Bebauung des Nachbarn und bilden die historischen Raumkanten zur Schenkstiege sowie entlang des Platzes zum Rathaus ab, der sich nordöstlich des Gebäudes befindet. Zwischen Neubauten und Bestandsgebäude entstand ein weiterer Platz auf der mittleren Ebene, der als Aufenthaltsort genutzt werden kann. In den Kellerräumen im Hang ist die Technik des Gebäudekomplexes untergebracht. Technische Elemente, die oberirdisch liegen, wurden hinter massiven Holzlamellen versteckt. Die aufwendigen Sanierungsarbeiten haben sich für die Gemeinde gelohnt. Von Beginn an war die Nachfrage nach den Räumen hoch. Der Fokus im Ort aber liegt auf dem wiederbelebten Gasthaus Stern. Gemeinsam mit dem sanierten alten Rathaus bildet er die neue und gleichzeitig historisch gewachsene Ortsmitte Kürnachs und einen angemessenen Aufgang zum Kirchberg.
Revitalisierung Ortsmitte Kürnach
Gasthaus Stern
Kirchberg 11
97273 Kürnach
Bauherr
Gemeinde Kürnach
vertr. durch Bürgermeister
Thomas Eberth
Art der Nutzung
Gaststätte, Arztpraxis,
Büroflächen, Fahrschule, Atelier
Nutzfläche
966 m²
Bruttogrundfläche
1.348 m²
Bruttorauminhalt
6.750 m³
Leistungen Jäcklein Architekten
Architektur
Energiekonzept
Energieausweis nach
ENEV 2014
Unterschreitung
Primärenergie Altbau um 51%
Unterschreitung
Primärenergie Neubau um 40%
Mitarbeit
Stefan Schrauth, Julia Dillamar,
Julia Beuerlein, Karsten Otto, Daniela Umbach
Statik
WSP Ingenieure, Würzburg
HLS-Planung
OKITECH–Planungsbüro, Sommerhausen
Elektroplanung
Elektroplanung Trunk, Giebelstadt
Vorkonzept, Abbruch, Baugrube
Felix Tannenberg, Aub
Fertigstellung
2016
Text
Katharina Winterhalter, Stefan Schrauth
Fotos
Christoph Saile, Würzburg
Auszeichnungen
Architektouren 2017
Veröffentlichung
4 Wände 4/2018,
Architekturbeilage der Main-Post